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Individualismus in der Gemeinschaft 

Der Geist der Gesellschaft, der Zeitgeist, oder die politische Haltung einer Gemeinschaft tritt nirgends klarer zu Tage als in den Formen der Architektur. 

Ist das Individuum Eigenbrötler in einer sozialen Umgebung, oder ein Ausdruck eigenwilligen kreativen Denkens?

 

Eine tolerante, offene Gesellschaft belohnt neue Akzente der Gestaltung, neue Wege in der Architektur. Eine konservative, eher restriktive Gesellschaft bestraft das abnorme und verhindert alles Abweichende und Ausgefallene. 

 

Als in den 50-iger Jahren ein sozialistischer Aufbruch den Internationalismus der Architektur verkündete und damit die Formensprache des puritanischen Funktionalismus propagierte, entstand ein Denken in der Gesellschaft, dass ein individueller Ausdruck im Stil dem Anliegen der Gemeinschaft widerspreche. 

 

Ob ein Gebäude in eine Umgebung ein, so genügt es der Macht der Gewohnheit, es gefällt, das heisst es gestaltet sich gleich wie die umliegenden Gebäude und besitzt somit kaum eigene Ausstrahlung. Ob die Betrachter es schön finder oder nicht, hängt ganz stark damit zusammen, ob sich das Auge schon an diese Formen gewöhnt hat oder nicht.  

Neue und eigenwillige Architektur stösst somit praktisch immer auf Ablehnung. Wie auch in der Kunst tritt die Qualität des Neuen erst nach gewisser Zeit ins Bewusstsein der Gesellschaft. 

 

Hierzu gibt es ein gutes Beispiel aus dem Entwurfsalltag des Architekten:

Bei der Präsentation und der Vorbesprechung eines Wohnhaus-Projektes auf der Gemeinde in Berikon liess der Bauvorstand klar durchblicken, dass nur eine Lösung bewilligt werde, die den umliegenden Häusern ähnlich sei. 

Der Satz des Bauchefs, ob mein Entwurf bei der Baueingabe den “Breikern” wohl gefallen werde, liess auf erschreckende Weise die Macht der umliegenden Nachbarn auf den Bauherrn zu Tage treten. Ob nun die umliegenden Gebäude schön waren oder nicht blieb dahingestellt. 

Die Anpassung war das Hauptziel der Gemeindepolitik. 

Der Architekt steht in der schwierigen Position des kreativen Gestalters, der zwischen diesen zwei Gegensätzen hin und her gerissen wird. 

 

Er ist Vermittler, aber auch Künstler. Er hat die Aufgabe sein Gebäude in die Gemeinschaft einzuordnen, er will aber auch dem Individualismus seines Bauherrn Ausdruck verschaffen. Je stärker aber die Gemeinschaft Druck auf das Individuum ausübt, desto einfallsloser und gleichgeschalteter wird sich die Architekturlandschaft gestalten. Ist es nicht gerade der Mangel an grossartigen Bauwerken, der unsere Zeit von früheren Epochen unterscheidet?

 

Nur ganz selten erlaubt uns die Gemeinschaft den grossen Wurf, die Kraft eines ausdruckstarken und fremdartigen, weil eigenwilligen Baustils. 

Wo aber sind die Grenzen des Individuums, und wo die der Gemeinschaft?

Die Grenzen beginnen schon bei der einheitlichen Bekleidung, bei der einheitlichen Verhaltensweise, beim gleichförmigen Denken. 

 

Architektur nach der Postmoderne 

 

In langfristigen Verlauf der Architekturgeschichte folgte auf die Moderne eine kurze, rückwärtsorientierte Periode mit klassizistischen Elementen, die sich als “Postmoderne” verstand, gleichsam einem Aufbäumen gegen die zu schnelle Entwicklung der moderne Industrie und Gesellschaft. 

Diese romantisierende und neoklassische Architektur kann jedoch nicht als wegweisende Stilrichtung für die Zukunft angesehen werden. Neue Wege sind erst in der Verwendung neuerer Materialien, neuerer Strukturen und damit verbunden eines kompromisslos modernen Stils zu suchen. An der Schwelle zum neuen Jahrtausend werden erst die klare Umsetzung neuer gesellschaftlicher Verhältnisse in eine Architektursprache, die Sicht auf eine neue Stilrichtung frei machen. 

Insofern kann man die Zeit der Postmoderne als Buckel ansehen, in einer Linie, die von Corbusier in eine unbestimmte Zukunft führt. 

In der etwas manieristischen Art des Dekonstruktivismus liegen sicher bereits Tendenzen einer Weiterentwicklung. Auch dort findet man oft gewisse Strukturen, die erst mit der heutigen Technologie lösbar sind. Die Verwendung z.B von Glas in den verschiedensten Formen erlaubt immer mehr gewagter Verbindungen bei den Baumaterialien. Die Forderung nach Licht und Transparenz kann so immer radikaler umgesetzt werden. 

Neue Materialien werden zu einer neuen Formensprache führen. Die Verwendung von Aluminium, Platin, neuartigen Kunstoffen, etc. lässt zu, dass sich die Konstruktionsarten immer mehr verändern können. 

Wie beim Eiffelturm, wo die Form aus der Struktur hervorgeht, kann so auch wieder vermehrt eine durch das Material bedingte Formensprache entstehen. 

Die vertikale Schräge und schwebende Elemente im Dekonstruktivismus sind zum Teil Folgen der Raumfahrt Technik und wären lange technisch gar nicht lösbar gewesen. Der Einfluss der Baustatik auf die Form wird damit vielleicht wieder an Gewicht gewinnen. 

Sicher aber ist eine neue Architektur eng mit der Technik einer Zeit verbunden, mit den Möglichkeiten der Baumaterialien und der Statik. 

Beobachtet man dabei auch gesellschaftliche und industrielle Tendenzen, wird sich daraus die richtige Mischung und somit ein Stil für das nächste Jahrtausend entwickeln. 

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